Aktionsbündnis “Hungern, bis ihr ehrlich seid” – Interview mit Pressesprecherin Jördis Schinköthe

Cedit: Stefan Müller

“Hungern bis ihr ehrlich seid” – so heißt die Hungerstreik-Kampagne verschiedener aktivistischer Gruppen gegen den Klimawandel. In einem Camp vor dem Bundeskanzleramt protestieren sie gemeinsam seit Ende Februar gegen die Klimapolitik der Bundesregierung. Aktiv im Hungerstreik sind seit mehreren Wochen Wolfgang Metzeler-Kick und Richard Cluse, nach unserem Interview Mitte April entschloss sich ein weiterer Mann zum radikalen Protest. Das Ziel: Bundeskanzler Olaf Scholz soll in einer Regierungserklärung aussprechen, “dass der Fortbestand der menschlichen Zivilisation durch die Klimakatastrophe gefährdet ist”. Im Interview spricht unser Redakteur Lukas Harth mit Pressesprecherin Jördis Schinköthe (20) über Hungerstreiks als Protestform und die Motive der Aktion.

Lukas: Hungern, bis ihr ehrlich seid. So heißt ja die Aktion. Vielleicht kannst du mal ganz kurz umreißen: Was ist das überhaupt?

Jördis: Wir sind eine unabhängige Kampagne und wir sind eine Gruppe klimabewegter Menschen, die Ehrlichkeit von Olaf Scholz fordern.

Lukas: Warum habt ihr da konkret das Gefühl, dass die Regierung noch nicht ehrlich genug ist? Weil, man muss ja fairerweise sagen, relativieren tut die Regierung den Klimawandel ja auch nicht.

Jördis: Ich glaube, sie relativiert es vielleicht nicht bewusst, aber sie ist auch nicht bewusst ehrlich. Also, wir fordern ja, dass Olaf Scholz eine Regierungserklärung abgibt, in dem er ausspricht, wie bedrohlich die Klimakatastrophe ist und endlich mal klare Worte findet. Er soll aussprechen, dass wir uns in diesem Weiter so nicht weiterbewegen können und dass wir jetzt, wenn auch mit Jahren Verspätung, endlich radikal umsteuern brauchen.

Lukas: Man könnte ja jetzt argumentieren, dass im Koalitionsvertrag von 2021 schon klipp und klar drinsteht: „Die Klimaschutzziele von Paris zu erreichen, hat für uns oberste Priorität.“ Warum, glaubt ihr, reicht das nicht aus?

Jördis: Ich mein‘, du kommst aus Bayern und da ist es besonders schön zu sehen, mit den Windmühlen zum Beispiel. Klar gibt es die Pläne, aber es dauert viel zu lange. Und genau deswegen machen wir den Hungerstreik, in dem wir ein „Ultima Ratio“ irgendwie erzeugen und sagen, es ist zeitlich begrenzt. Und genau jetzt brauchen wir diesen Druck und genau jetzt müssen wir handeln. Weil, die Pläne gibt es, aber die sind in dieser Zeitspanne nicht mehr erreichbar.

Lukas: Ich bekomme da ein bisschen das Gefühl, dass die Motive des Streiks ja jetzt erst mal hauptsächlich so einen symbolischen Charakter haben. Findest du, das reicht aus, um auch konkret dann, zum Beispiel jetzt in Bezug auf die Windräder, was zu ändern?

Jördis: Also es ist ja so, dass auch Wolly und Richy beide sehr wissenschaftlich sind. Es sind beide Ingenieure. Und es gibt die Wissenschaft, so wie wir jetzt handeln müssten, und es gibt die Lösungsansätze, aber die werden ganz ehrlich einfach nicht gehört und sie werden ignoriert und deswegen nicht umgesetzt.

Lukas: Jetzt hast du sie gerade schon angesprochen, also die beiden Aktivisten Wolfgang Metzeler-Kick und Richard Cluse, der eine über einen Monat jetzt schon im Hungerstreik und der andere über zwei Wochen. Wie geht es den beiden?

Jördis: Es ist natürlich eine extreme Ausnahmesituation und ich glaube, man kann das unterscheiden in: „wie ist ihre Mentalität“ und „wie geht es ihnen gesundheitlich“. Und beide sind sie extrem überzeugt von dem, was Sie tun. Gesundheitlich geht es Richy voll in Ordnung. Wolfgang hat schon sehr viel abgenommen, ist ja auch schon länger im Hungerstreik und man merkt, dass er immer schwächer wird. Das ist schon auch sichtbar zu sehen ist, wie viel er schon abgenommen hat. Gerade hat er sich eine Erkältung eingefangen, also jetzt die letzten zwei Tage schnupfte er immer rum und das bereitet mir auf jeden Fall Sorgen. Also es ist schon…heftig.

Lukas: Das wäre jetzt meine nächste Frage gewesen. Obwohl ja viele Menschen die Motive hinter dem Streik nachvollziehen, nachfühlen können und du ja mit Sicherheit auch 100 Prozent dahinterstehst: Wie schaffst du das zu vereinen? Auf der einen Seite diese Sorge um diese beiden Menschen zu haben, dass es ja eben auch gesundheitliche Folgen haben kann, und auf der anderen Seite eben diese Ziele zu erreichen?

Jördis: Ich hab‘ das Gefühl, das ist eine sehr krasse Entscheidung auch aus dem Bauch heraus gewesen und es ist schwer, das zu vereinbaren. Ich kämpfe immer wieder damit, dass die Menschheit in so einem krassen Verdrängungsmodus ist. Dass die Welt sich weiterdreht, ich zur Arbeit gehen muss und gleichzeitig aber diesen Kontrast habe, zu was in diesem Camp passiert und dass da Menschen gerade am Verhungern sind. Aber gleichzeitig merk’ ich auch, wie viel Kraft es mir gibt, dass ich da bin und es ich weiß, ich stehe dafür ein und wir können damit etwas erreichen.

Lukas: Ich kann das nicht ausschalten: Wenn ich daran denke, dass Menschen jetzt einen Hungerstreik treten, dann male ich mir auch gleichzeitig immer die schlimmstmögliche Folge aus. Was passiert denn, wenn jetzt wirklich einer von beiden bis zum Äußersten geht und vielleicht sogar stirbt?

Jördis: Ja, was passiert dann? Also… (Schweigen)

Lukas: Habt ihr euch auf so eine Situation vorbereitet? Wird darüber offen gesprochen?

Jördis: Ja, auf jeden Fall. Also, wir bereiten uns darauf vor. Wir bereiten uns auf alle Szenarien vor. Und wir sind auch schon mit eingestiegen, mit dem Gedanken: Hey, es kann sein, dass eine Person stirbt. Obwohl sie sich nur einsetzt für grundlegende Sachen, einfach nur Ehrlichkeit von unserem Bundeskanzler. Also das macht mich auch zutiefst traurig, dass ich weiß, es gibt eine Person, die bereit wäre, dafür zu sterben…

Lukas: Glaubst du, dass auch dann niemand aus dem Camp sie daran hindern würde?

Jördis: Nein, natürlich nicht. Es sind beides Menschen, die in ihrer vollsten Überzeugung dafür einstehen. Und es sind beides Menschen, die bereit sind, es zu tun. Und dafür haben sie meinen größten Respekt. Also ich werde sie da nicht aufhalten und ich glaube, es ist eher ein Zeichen an die Menschheit, dass wir alle absoluten Respekt dafür haben sollten und darüber nachdenken sollten, wie wir gerade in unserem Alltag fungieren und inwieweit wir Protest oder Widerstand leisten.

Lukas: Wie nimmst du denn die Reaktionen aus der Bevölkerung wahr auf die Proteste?

Jördis: Wir kriegen viel Unterstützung von außerhalb. Auf der einen Seite merke oder fühle ich die Unterstützung, auf der anderen Seite auch vielleicht ein Erstaunen oder eine Erschütterung darüber, dass Menschen bereit sind, so weit zu gehen. Also dass Menschen zu so einem drastischen Mitteln greifen. Es macht viel mit den Menschen. Es macht auch viel mit mir.

Lukas: Ich habe im Vorfeld einigen Leuten aus meinem Umfeld schon davon erzählt, die es tatsächlich medial gar nicht so sehr mitbekommen haben, dass die Hungerstreiks gerade stattfinden. Und ich bekomme da oft die Reaktion, dass es manchen wirklich zu weit geht. Wie ordnest du das Empfinden ein? Kannst du das nachvollziehen?

Jördis: Aus ganz persönlicher Sicht kann ich das schon nachvollziehen. Ich habe auch jahrelang in einem Verdrängungsmodus gelebt und überhaupt die Situation nicht richtig greifen können. Ich kann Menschen nur ans Herz legen, darüber nachzudenken:  Hey, was passiert hier überhaupt und warum denken Wolly und Richy, dass es so nötig ist, zu diesen drastischen Mitteln zu greifen? Warum machen die das überhaupt? Und es ist ja super extrem, was sie machen und das tun sie nicht ohne Grund.

Lukas: Ist denn dieser Hungerstreik in deinen Augen ein friedlicher Protest?

Jördis: In meinen Augen absolut ja. Wir schaden keinen anderen Menschen und Wolly und Richy sind sich bewusst über ihre eigenen körperlichen Folgen, die es haben kann.

Lukas: Also du hast jetzt gerade gesagt, ihr schadet niemandem anderen. Und wenn man es vielleicht jetzt nicht auf so einen physischen Schaden bezieht, sondern vielleicht einfach auf diese Drucksituation, der jetzt vielleicht ‘ne Politiker*in womöglich ausgesetzt ist, weil Menschen bereit sind, zum Äußersten zu gehen? Und Realpolitik vielleicht manchmal auch nicht alles zulässt im Sinne von „radikale Maßnahmen“?

Jördis: Aber wenn wir es jetzt nicht zulassen, dann sind die Folgen, die auf uns zukommen, umso größer. Und dann geht es nur noch darum, die Folgen zu bekämpfen. Und ich sehe nur, wie schlimm es überhaupt noch werden kann. Und dass das, was jetzt passiert, also bis jetzt schon… Unglaublich viele Menschen sterben aufgrund von Dürren, diese Extremtemperaturen, Hunger…

Lukas: Also, ein oft gehörtes kritisches Argument, jetzt in Bezug auf die Hungerstreiks, ist ja auch, dass der Staat sich nicht erpressen lassen darf. Was würdest du dazu sagen?

Jördis: Ja, es geht um “erpressen”, du sagt “erpressen”... aber…

Lukas: Findest du, das ist das falsche Wort? Was würdest du eher sagen?

Jördis: Na ja, wir fordern ja nur Ehrlichkeit. Und Ehrlichkeit ist doch in der Gesellschaft eigentlich… oder sollte ein absoluter Konsens sein, vor allem wenn es um die Politik geht, die Politiker*innen, die quasi eigentlich die Interessen der Bevölkerung vertreten sollten. Und ich meine, Ehrlichkeit ist ein Grundbaustein einer gerechten Welt. Und ohne Ehrlichkeit kann doch eine Gesellschaft irgendwie nicht fußen, außer auf Betrug, Ausbeutung, Ungerechtigkeit.

Lukas: Wir können ja vielleicht jetzt gerade auch schon mal ein kleines Fazit oder ein kleines Ergebnis-Resümee ziehen. Also, gab es eine Reaktion von Olaf Scholz beziehungsweise eine Reaktion aus der Ampelregierung?

Jördis: Von Olaf Scholz gab es noch keine wirkliche Antwort. Es gab ‘ne Antwort in der Bundespressekonferenz von einem Vertreter, der aber letztendlich auch nicht viel gesagt hat, außer vielleicht runtergebrochen: „Wir nehmen euch wahr, aber wir haben schon unsere Klimapolitik quasi. Und wir machen ja schon was.“

Lukas: Was würdest du sagen? Glaubt ihr, dass da jetzt noch was kommt? Oder habt ihr die Hoffnung schon aufgegeben?

Jördis: Wir haben die Hoffnung absolut nicht aufgegeben, sonst würden wir nicht mehr da sitzen. Und ich kann nur sagen, dass wir oder Wolly und Richy absolut entschlossen sind und weitermachen. Also wenn nicht jetzt, wann dann quasi?

Lukas: Im Vergleich zu den zum Beispiel Klebeprotesten. Warum würdest du sagen, haben Hungerstreiks vielleicht bessere Erfolgschancen?

Jördis: Ich glaube nicht, dass sie unbedingt bessere Erfolgschancen haben. Sie erzeugen einen größeren Druck. Und es ist ganz cool: Aus der Protestforschung hat man gelernt, dass verschiedene Klimagerechtigkeits-Bewegungen oder verschiedene Gruppen zusammen dafür sorgen, dass es einen Erfolg hat. Und das hat man zum Beispiel bei der Letzten Generation schon ziemlich gut gesehen, in dem die Letzte Generation auch viel Abneigung in der Bevölkerung erzeugt hat, hat dieser Future wieder mehr Zulauf bekommen. Und vielleicht ist jetzt der Hungerstreik ein wieder drastischeres Mittel, welches dafür sorgt, dass andere Menschen sich politisch engagieren, in egal welcher Bewegungen auch immer.

Lukas: Da klingt doch so ein bisschen mit, dass es dir und wahrscheinlich allen Menschen, die bereit sind, so radikal dafür einzutreten fürs Klima, auch egal sein muss, was andere Menschen über euch und von euch denken oder?

Jördis: Ja, also was heißt egal…? Ich glaube, es geht uns nicht um uns, sondern um die Sache, wie man so schön sagt.

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